Wer braucht schon eine Bungalowtür?

Auf meiner Reise durch den Norden der indonesischen Insel Sulawesi, wollte ich unbedingt meine Füße zum Abschluss an einem schönen Strand in den Sand stecken. Natürlich hatte ich bereits von den Togian Inseln gehört, aber irgendwie sprachen die anderen Reisenden oft darüber und ich wollte wieder einmal einen dieser unbekannteren Flecken finden. Ich hatte auf der Karte bereits die Insel Siau entdeckt und sie zog mich schon aus der Ferne in ihren Bann. Vor Ort ließ sich wie immer eine Möglichkeit finden und so organisierte mir jemand das Ticket für das Boot und einen Bungalow am Strand noch dazu.

Perfekt – Siau, here we go.

Vier Stunden chauffierte mich das Speedboot über die See, da stellte ich fest, dass ich etwas nackig unterwegs war. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt, dass ich bei Ayu zu Gast sein werde, hatte jedoch keine weiteren Informationen zur Kontaktaufnahme oder dem weiteren Vorgehen nach meiner Ankunft im Hafen von Ulu. Nachdem das Boot angelegt hatte, stand ich an Deck und schaute in ganz viele unbekannte Gesichter, die mich freudig anlächelten. Das war der Moment, in dem ich entschied, dass es leichter ist, wenn Ayu mich erkennt als umgekehrt. Ich verweilte einen kurzen Moment und kletterte anschließend vom Boot. Dort wurde ich auch direkt angesprochen. Ayu hatte meinen Transport organisiert und die gute Seele Bayu zu mir geschickt.

In einem typischen Sulawesi-Microlet starteten wir in Richtung Bucht und die Fahrt trieb mir damals eine Menge Emotionen ins Gesicht. Auf die entlegene Insel Siau verirrten sich nur sehr wenige Touristen und so waren die Augen, die mich erblickten, sehr groß. Schon in den ersten Momenten dort wusste ich, dass die Tage etwas Besonderes werden würden. Wir schoben uns langsam über die steilen Straßen und hinter jeder Kuppe kribbelte mein Bauch, weil die Landschaft so unbeschreiblich schön war. Als wir unser Ziel erreichten, hielten wir in einer wunderschönen, kleinen Bucht. Dort standen neben dem Haupthaus drei Bungalows direkt am weißen Sandstrand. Ein Ort mit unzähligen Palmen, baumelnden Hängematten und einem mächtigen Baum in mitten dieser Idylle. Die Gänsehaut, die ich schon hatte als Bayu mich über die Insel fuhr, sie war hier ebenfalls stark vorhanden. Ich fiel direkt aus dem Auto in eine Hängematte und fand somit sofort meinen Lieblingsplatz.

unfertiges Wohnen auf Siau

Als Ayu heimkam, wurde ich von ihr herzlich begrüßt und erfuhr gleich im Anschluss, dass mein Bungalow leider nur halbfertig war. Für den ersten Moment verschlug es mir die Sprache, denn ich hatte eigentlich nur vier Wände und ein Bett. Die Eingangstür fehlte und das Badezimmer war noch in der Entstehungsphase. Ich blickte mich noch einmal um und schmunzelte, als ich registrierte, dass ich an diesem Ort den ganzen Schnickschnack um einen schönen Bungalow gar nicht brauchte. Ich zog also ein.

Siau gab mir viel: Der Vulkan Gunung Karangetang forderte mich geradezu heraus. Von der Besteigung berichte ich aber in einen anderen Artikel einmal. Ich erkundete die Insel mit dem Moped und kam an tollen Orten vorbei, sah Straßen, bei denen ich nicht sicher bin, ob ich das mit dem Moped geschafft hätte oder die Rolle rückwärts das Ergebnis gewesen wäre. Ich erlitt Schiffbruch auf dem Weg zur Trauminsel Pulau Mahoro und war zu Besuch auf einer Veranstaltung, auf der mich jeder persönlich und mit einem Selfie begrüßte und sogar das Militär für mich zur Begrüßung strammstand. Das alles sind Reisegeschichten, die ich ganz tief im Herz trage und sicherlich nach und nach erzählen werde. Auf dieser Insel haben aber die Menschen mein Herz berührt und das möchte ich nun gern teilen. Das Leben bei Ayu und meine Fahrten mit Bayu gingen mir ans Herz. Dieser Ort, den ich schon aus der Ferne faszinierend fand, wurde eine Wundertüte gefüllt mit Emotionen und berauschenden Erlebnissen.

Siau meine Wundertüte

Ohne Bungalowtür aufzuwachen war ein Traum, denn dieser magische Anblick begeisterte mich jedes Mal aufs Neue. Meine wunderschöne Bucht, in der ich meist in einer Hängematte mit Blick auf diesen faszinierenden Feuerberg schaukelte. Das stetige Meeresrauschen brachte mich zur Ruhe und die Insel gab mir die Gelegenheit wahre Herzlichkeit kennenzulernen. Ausnahmslos jeder auf dieser Insel lächelte mich an und gewann damit sofort auch ein Lächeln von mir. Diese Menschen dort sind gefühlt verdammt weit weg von jeglichem Festland. Eine Weiße sehen sie eher selten und genau deshalb strahlten sie mich unaufhörlich mit großen Augen und einem breiten Lächeln an. Die Kinder fassten meine Hand und begleiteten mich einfach so ein Stück. Sie winkten und jubelten, wenn sie mich sahen und selbst der Schulbus stoppte für mich. Nachdem alle Jugendlichen das obligatorische Selfie in der Tasche hatten, fingen sie an ganz locker auf der Straße zu tanzen. Ich konnte mich auf dieser Insel und in dieser Gesellschaft ganz einfach nur wohlfühlen. Abends versammeln sich alle am Strand. Wenn die Sonne erst untergangen war und die Bucht für einen Moment in dieses mystische Licht getaucht wurde, dann tauchten Millionen von Sternen am Himmel auf. Wir aßen immer im Freien, der Wind rauschte durch die Palmen und der Sand unter den Füßen fühlte sich fantastisch an. Strom hatten wir selten konstant, weshalb wir oftmals einfach eine kleine Öllampe hatten, mit der ich abends wie ein Nachtwächter bis zu meiner nicht vorhandenen Bungalowtür ging.

Ich genoss diese Insel in vollen Zügen und übersah dabei einen Stein am Strand. Ende vom Lied war ein Zeh, der ganz plötzlich sehr demoliert war. Da es sich mit einem vermeintlich gebrochenen Zeh am Strand nicht schön laufen ließ, registrierten die Locals sofort, dass bei mir etwas nicht stimmte. Mit meinem Schulterzucken zur Verletzung wollte sich Ayu nicht abfinden und ehe ich mich versah, saß ich bei Bayu auf der Ladefläche und befand mich auf dem Weg ins Krankenhaus. Dort angekommen sorge ich mit meinem Erscheinen direkt für Aufregung. Man stimmte mit meiner Diagnose überein und erklärte mir zusätzlich, dass man aufgrund des mangelnden Stroms, das vorhandene Röntgengerät leider nicht betreiben konnte. Da ich kein Röntgen wollte und mir so das freundliche Abmoderieren erspart blieb, ließ ich die Verletzung ordentlich desinfizieren und anschließend verbinden. An dieser Stelle entlockten sie mir ein breites Grinsen, denn für den Verband wurde unter anderem ein großes Stück Pappe der Handschuhverpackung genutzt. Da stand ich nun, mit einem einzelnen Flipflop in der Hand und versuchte herauszufinden, was mich die Behandlung nun kostete. Ayu hatte das finanzielle bereits geklärt und wollte mein Geld einfach nicht annehmen.

Als ich auf einer Seite barfüßig aus dem Krankenhaus humpelte, stand unser nächstes Ziel gleich fest: Ein Schuhladen oder besser gesagt ein Geschäft, in dem es unter anderem auch Schuhe gab. Mit meiner Beteuerung, dass ich keine Schuhe benötige und locker auch barfuß in unserer Bucht überlebte, hatte ich keine Chance. Wie bereits erwartet (und das war auch wirklich nicht tragisch), passte mir kein Schuh und die Köpfe wurden zur Lösung zusammengesteckt. Zu meiner Überraschung wurden original verpackte Einweg-Hotel-Schlappen hervorgezaubert und an mich weitergegeben. Jetzt war es amtlich: Ich wohnte in einem Bungalow ohne Strom, fließend Wasser oder generell einem Bad und ohne Eingangstür, hatte aber eigene Hausschlappen.

Das war aber noch nicht alles, denn Ayu hatte einen Arzt in der Familie und der sollte sicherheitshalber auch noch einmal draufschauen. So fand ich mich mit der versammelten Mannschaft vor einer Holzhütte wieder und ein Großteil der Nachbarschaft gesellte sich noch hinzu. Ich nahm auf dem Küchentisch Platz und die Rotlichtlampe wurde eingeschaltet. Er schaute, desinfizierte und legte einen kleinen, praktischeren Verband an, der von der gesamten Gemeinschaft als bedeutend brauchbarer angenommen wurde. Ich erkundigte mich auch hier nach der Bezahlung und die Köpfe wurden sofort geschüttelt. Nach einem Foto wurde ich lediglich gefragt – sicherlich saß dort nicht alle Tage eine weiße Patientin auf dem Tisch. Ein Dank war ausreichend als Bezahlung.

Eigentlich hatte Bayu an diesem Tag seinen freien Abend, denn es gab eine traditionelle Vorführung im Ort, die er eigentlich besuchen wollte. Dank meiner grobkoordinierten Leistung kutschierte er mich nun umher, statt dort den Abend zu genießen. Mittlerweile kannte ich mich auf der Insel ein wenig aus und wusste, dass die Zeit nicht reichte, um mich in die Bucht zu bringen und dann noch pünktlich bei den Tänzen zu sein. Ich kaufte uns jedem ein Bier und schlug vor, dass wir uns die Aufführungen gemeinsam ansehen. Meine Anerkennung stieg, Bayu freute sich sehr und ging stolz mit mir auf den Platz. Ich bekam einen Stuhl vor der Bühne und alle scharten sich um mich herum. Wir genossen einen tollen Abend und mir kam erstmal der Gedanke, dass dieser Abschied kein leichter werden wird.

Superman got nothing on me

Nachdem ich die Tage auf Siau genossen und einige Abenteuer erlebt hatte, kam mein letzter Morgen. Er begann früh und den Sonnenaufgang erlebte ich bereits im Strand sitzend. Ich schaute in aller Ruhe zu, wie die Insel erwachte und ganz allmählich von der Sonne angestrahlt wurde. Ein letztes Mal hieß es für mich „guten Morgen Siau“ und ich fühlte mich unendlich schwer. Als die Sonne am Himmel stand, legte ich mich unter den großen Baum und döste noch einen Moment am Strand. Ich wollte so viel Zeit wie möglich mit der Insel verbringen und natürlich auch noch einmal in der Hängematte im Wind schaukeln. Siau hatte mir genau das gegeben, was ich gesucht hatte: Innere Ruhe und Gelassenheit. Dort mitten in der Celebessee verstand ich erstmals das Zitat von Graham Green: “Niemand kommt von einer Reise so zurück, wie er weggefahren ist.“

Natürlich übernahm Bayu auch meine letzte Fahrt und der Abschied aus der Bucht fiel mir unheimlich schwer. Die ganze Meute fuhr mit in Richtung Hafen und mein Sulawesi-Song lief in Dauerschleife. Immer und immer wieder sangen wir „superman got nothing on me“ – laut, schief, aber von Herzen. Am Hafen angekommen, überreicht mir Bayu ein Abschiedsgeschenk – Kanari überzogen mit dem Guss der Zuckerpalmen. Mein absoluter Favorit. Natürlich brachten mich alle zusammen bis zur Planke und dann war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich gehen musste. Ich schaute in sehr traurige Gesichter und als ich die ersten Tränen kullern sah, musste ich meine nicht mehr zurückhalten. Da reiste ich tausende Kilometer und traf Menschen, die mich ohne jeglichen Vorbehalt ins Herz geschlossen haben. Ich drückte jeden von Ihnen so fest ich konnte und ging an Board. Ich stand winkend an der Scheibe und sah sie draußen noch lange auf dem Steg stehen.

Ich hatte ein Zuhause auf der Insel Siau gefunden. Ayu ist bis heute noch eine Freundin. Sie musste in den Jahren seit meiner Abreise leider lernen eine starke Frau zu sein, aber trotz Entfernung hielten wir den Kontakt. Die Unterkunft musste sie leider verkaufen, ihr großes Herz hat sie behalten. Wir träumen davon, uns bei einer meinen nächsten Reisen zu treffen. Das wäre wohl ein Heimatbesuch!