Gleich vorweg: Der Name ist Programm und das war mir bereits klar, als ich zu den Eckdaten abgeholt wurde. Die Tortour ist ein Radrennen rund um die Schweiz, bei dem du nur dann an den Start gehst, wenn dich besonderes Durchhaltevermögen auszeichnet. Bevor hier Verwirrung aufkommt, möchte ich gleich zu Beginn erwähnen, dass ich nicht direkt an der Startlinie stand. Dies überließ ich unserem Team, rückte artig ein paar Schritte zurück und unterstütze als Betreuerin.
Das Team waren vier Freunde, die in ihrem Sportlerdasein sehr ambitioniert Rennrad fahren. Viele der sich schlängelnden Passstraßen sind ihnen mehr als bekannt und all die berühmten großen Berge, sind ihnen bereits unter die Räder gekommen. Für 2019 hatten sie sich die große Schleife der Tortour als Teamevent vorgenommen. 1037 km, insgesamt 14960 Höhenmeter und neben dem Klausen- und dem Sustenpass, musste der Grenchtenberg und die Berge der Westschweiz überwunden werden. 17 Etappen standen uns bevor, die einzeln und teilweise gemeinsam gefahren wurden. Immer mit von der Partie und für Verpflegung, Velowechsel, Fahrertausch und alle sonstigen Eventualitäten gewappnet, waren vier Betreuer in zwei Autos. Damit waren wir die Basis und fungierten als Planer, Mechaniker und Putzteufel. Wir waren im Service und gleichzeitig Chauffeur und Navigator. Nicht zu vergessen, Motivator, Streckenposten und Ausleuchter. Stellenweise waren wir sprachlos, immer unfassbar stolz und zwischendurch mehr als müde.
Unser Team stellte sich den Herausforderungen gemeinsam und wer jetzt denkt, dass ein Rennen über eine so lange Distanz nicht spannend sein kann, der irrt sich gewaltig. Ab den ersten Metern hielt das Team die Konkurrenz in Schach, führte über eine weite Strecke und zeigte ausnahmslos auf jeder Etappe wie stark die Appenzeller waren. Egal ob allein oder gemeinsam, der „Appenzeller Express“ rollte zuverlässig. Jeder Fahrer ist an diesen Tagen über sich hinausgewachsen. Nach jeder Etappe konnte man die Müdigkeit und Anstrengung sehen. Sie waren gezeichnet, geschafft und abgekämpft und dennoch waren sie zu jedem weiteren Start parat und bereit für das Team alles zu geben. Stellt Euch vor, über diese lange Distanz einen Durchschnitt von 32,4 km/h zu fahren. Damit verdient man sich zu Recht nach 31 Stunden den dritten Platz!
Ich, als Teil des Betreuerteams, habe das Rennen aus einer ganz besonderen Perspektive erlebt. Als ehemalige Leistungssportlerin klopfte mir das Herz bei der Aktion solidarisch mit bis zum Hals. Ich konnte mich massiv begeistern und war ebenfalls hochmotiviert. Ich habe zu aktiven Zeiten immer sehr gemocht mich zu fordern und einige Trainingseinheiten erlebt, die mich an meine Grenzen gebracht habe. Diese Leistung jedoch, die ich in diesen Stunden sehen durfte, hat meine Definition von „sich fordern“ noch einmal verschoben und angepasst. Solltet ihr Euch fragen, wie die Gesichter von Menschen auf dem Bürgersteig aussehen, wenn kurz nach Mitternacht eine Viererkette auf schnurrenden Zeitfahrmaschinen in einem Höllentempo durch die Stadt rauscht, dann kann ich das sehr präzise beschreiben. Ich weiß jetzt auch, wie man von einem Fahrrad auf ein anderes umsteigt, ohne dabei auch nur ansatzweise etwas Geschwindigkeit einzubüßen. Ich war dabei, wenn mitten in der Nacht ein Gesichtsausdruck geprägt von Ehrgeiz und Erschöpfung Bände spricht und ich durfte sehen wie jemand an einem ruppigen Anstieg seine Leistung wie auf Kommando abruft.
Zwei schlaflose Nächte und die vielen Kilometer im Auto waren auch für uns als Betreuer unfassbar anstrengend. Dennoch bin ich sehr dankbar, dass ich dabei sein durfte. Es war eine hervorragende Leistung eines wahren Teams! Dabei zu sein war ein Fest!