Alea iacta est – der Würfel ist gefallen

Ich selbst bin eine Ansammlung von Launen und mein Kopf ein Auffangbehälter von Selbstzweifeln. Ich war vor knapp zwei Jahren, aufgrund einer schweren Verletzung, eine Zusammenstellung von widersprüchlichen Gefühlen und bin es jetzt gerade wieder.

Vom Sportler zum Couchhüter in Nullkommanichts

Als ich ein dreijähriges Mädchen war, bekam ich von meinen Eltern mein erstes Paar Ski. Breite, rote Holzbretter mit einer Drahtzugbindung darauf. Ab da gab es kein Halten mehr und ich drehte unaufhörlich meine Runden. Überholen verboten!

Ich liebte diesen Sport und Sport im Allgemeinen. Vom durch den Garten tingelnden Mädchen, entwickelte ich mich zur Leistungssportlerin, anschließend zur Sportstudentin und letztendlich suchte ich mir auch einen Job im sportlichen Umfeld. Ich arbeitete nebenbei zusätzlich als Fitnesstrainerin, bildete Übungsleiter im Aquasport aus und rannte so oft es ging einen Kilometer nach dem anderen. Dann übersah ich auf der Geburtstagsparty meines Opas eine kleine Kante und machte Mus aus meinem Sprunggelenk. Eben noch war ich sportlich fit, innerhalb eines Sekundenbruchteils nicht mehr in Lage zu gehen.

Der Kopf steckte tief im Sand

Zunächst diagnostizierte man mir einen Riss der Außenbänder, gab mir eine Schiene und ließ mich 6 Wochen abwarten. In diesen Wochen hatte ich Schmerzen und laufen ging mehr schlecht als recht, aber ich hatte ja eine Diagnose und wollte positiv denken. Anschließend musste ich ins MRT und als mir der Arzt im Zuge seiner Erklärung mitteilte, dass ich für lange Zeit nicht laufen werden, rutschte mir meine Kraft tief in die Hose.

Es folgten 16 Wochen Krücken inklusive schmerzender Arme, ganz viel Ungewissheit und Angst, Frust und Bewegungslosigkeit. Mein sportliches Dasein, so wie ich es kannte, war nicht mehr existent und es war schnell klar, dass ich mich von einigen sportlichen Aktivitäten und insbesondere vom Laufen verabschieden musste. Damit verlor ich mein Ventil, meine Methode den Kopf durchzupusten, Stress abzubauen und meinte Sonntagsbeschäftigung mit einer Freundin. Ich war an dem Punkt angekommen, an dem ich oft „du schaffst das“ gehört habe, mir aber niemand verraten konnte wie genau das funktioniert. Es gab Tage, da steckte ich den Kopf tief in den Sand und kämpfte dennoch täglich still vor mich hin. Ich wollte, aber ich konnte nicht und mühte mich nicht nur mit dem kaputten Sprunggelenk, sondern auch mit einlullenden Gedanken.

leises Comeback auf langem Weg

Als ich nach Monaten endlich wieder auf Langlaufski stand und die ersten Meter im schönen Davos lief, gefror mir das Blut in den Adern. Jeder Schritt war ein Krampf. Technisch lief ich gut, aber die Puste reichte nicht aus. Ich musste alle paar Meter anhalten und schämte mich fürchterlich dafür. Ich erkannte meinen Körper nicht wieder, denn das bereits die kleinste Belastung sich wie eine große Herausforderung anfühlt, war mir bis dato unbekannt. Ich liebte es mich herauszufordern, sportlich unterwegs zu sein, lange Aktivitäten zu meistern und jetzt konnte ich nicht einmal auf der Touristenloipe von Davos bestehen. Es war deprimierend und so ging der Winter dahin.

Natürlich wurde es nach und nach besser und ich konnte kleine Schritte bergauf verzeichnen, aber mit dem Ende des Winters, endeten auch meine sportlichen Möglichkeiten vorerst wieder. Ein Ersatz musste her und ich legte meinen Fokus auf das Rennrad fahren. Dank einer Verkettung glücklicher Umstände, wurde mir ein Einstieg zu diesem Sport ermöglicht. Da war sie, die Chance dem inneren Schweinehund eins überzubraten. Ich genoss einen wunderbaren Sommer und arbeitete hart aber mit ganz viel Spaß am Sport an mir. Die Freude an der Bewegung und Belastung war zurück, die Leichtigkeit war es auch und es fühlte sich großartig an.

Jetzt, knapp zwei Jahre nach dem Unfall laufe ich wieder an Krücken und habe die ersten paar Tage der prophezeiten belastungsfreien Wochen geschafft. Zwischen Diagnose und Operation sind nur knapp zwei Wochen vergangen, aber diese Zeit hat gereicht, dass sich alte Denkmuster breit gemacht haben und ich schon einmal gedanklich ein schönes Fleckchen Sand für den Kopf auswählen konnte. Das mein Sprunggelenk nun doch operiert werden musste und ich somit wieder einen großen Schritt rückwärts mache, hat mich zum Wanken gebracht.

Game Day or any day

Während ich den jährlichen Ausflug mit Freunden auf eine abgelegte Berghütte absagen musste und nach dem Krankenhaus allein daheim saß, fiel es verdammt schwer gedanklich am Ball zu bleiben und nicht wieder den Mut zu verlieren. Dann fiel mir ein, dass ich nicht nur aus sportlicher Sicht an mir gearbeitet hatte, sondern mir auch ein Rüstzeug aus mentaler Vorbereitung geschaffen und Ziele gesetzt hatte. Ziele die noch Bestand haben und für die es jetzt erst recht zu kämpfen lohnt.

In 2,5 Wochen geht der Flieger nach Norwegen und auch wenn ich am berühmten Holmenkollen nicht mit meinen Langlaufski stehen werde, so sollte mich dieser Ort, der schon die größten Leistungen im Skilanglauf hervorgebracht hat, dennoch motivieren. 6 Wochen nach der Operation darf ich zurück aufs Rennrad und damit die Beine schön rund drehen können, kann ich die Zeit bis dahin zum Muskelerhalt nutzen. In 11 Wochen geht der Flieger nach Mallorca. Natürlich möchte ich die Insel mit dem Rennrad kennenlernen. Stark sein ist die Devise, denn bereits dort kann und werde ich mich wieder fordern. Im Juli möchte ich mein erstes Radrennen fahren und am Maratona dles Dolomites teilnehmen. Zugegeben sind die Vorbereitungen nicht optimal, aber ich werde an der Startlinie stehen und fahren und allein das ist nach einem Blick zurück auf die Verletzung eine großartige Leistung. In knapp einem Jahr möchte ich außerdem am Nachtlauf im Rahmen des Engadiner Skimarathon an den Start gehen.

„Sport is not just the game I play. Sport is who I am, what I am, why I am. It´s every second on the clock, every moment I live – Game Day or any day.” Witzigerweise stammt dieser Spruch von einem eingenähten Etikett meiner Adidas-Jacke und ich wette den Produzenten war nicht bewusst, dass sie einmal von jemandem getragen wird, der oft den größten Kampf mit sich selbst kämpft, aber weiß, dass Durchhalten immer belohnt wird.