Rund 230 km haben uns die letzten Jahren getrennt. Dietersheim, ein muckeliges Dorf in der Nähe von München und Appenzell am Fuße des Alpsteinmassiv. Da trafen unterschiedliche Leben aufeinander und regelmäßig sind wir von einem in das andere gependelt.
Vorbereitungen unter erschwerten Bedingungen
Die Schweiz, dort wollte ich zukünftig leben und gerade als diese Entscheidung in Sack und Tüten war, brach der Coronavirus in der Welt aus. Die Vorbereitungen fanden somit unter ganz besonderen Bedingungen statt.
Ich wurde im Februar am Sprunggelenk operiert und ging bis zu meiner Abreise an Krücken. Den Umzug musste ich demnach einbeinig absolvieren. Zum Schutz vor dem Coronavirus wurden die Grenzen geschlossen. Da wir zu diesem Zeitpunkt noch getrennte Wohnsitze hatten, galten wir als binationales Paar und erhielten keine Einreisebewilligung mehr. Jeder musste somit bei sich vor Ort als Einzelkämpfer vorbereiten. Die Ausgangsbeschränkung sorgte dafür, dass helfende Hände nicht helfen durften und nur die ganz engen Freunde dennoch zum Räumen und Wischen auf der Matte standen. Es heißt eben Freundschaft, weil man mit Freunden alles schafft!
Beim Training auf der Rolle hörte Andrej zufällig eine Pressekonferenz zum aktuellen Geschehen rund um den Coronavirus. So erfuhren wir, dass Umzüge generell noch möglich sind, jedoch die bekannten Einreisebestimmungen (notwendig sind normalerweise Mietvertrag und Arbeitsvertrag) nicht mehr gelten. Einreisen durfte nun nur, wer eine Aufenthaltsbewilligung vorlegen konnte. Die hatte ich natürlich noch nicht. Wir setzten also noch einmal alle Hebel in Bewegung, telefonierten mit den Ämtern und Freunden beim Zoll und erhielten tatsächlich nach einigen Tagen die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung per Post.
Zusätzlich entschieden wir uns dazu ein Umzugsunternehmen zu beauftragen. Nur so hatten wir die Möglichkeit, den Umzug überhaupt durchzuführen. Der Schweizer Zoll hatte jedoch bereits bei dem ein oder anderen Unternehmen Spuren hinterlassen. Corona hatte ebenfalls gewirkt und so war es gar nicht so einfach ein Angebot zu erhalten. Die unverschämte Offerte war natürlich auch dabei, die schwarzen Schafe gibt es tatsächlich in jeder Lebenssituation.
Wenn die Blätter Deiner Wohnzimmerpalme im Wind vor dem Zollhäuschen wehen
Ich fand ein Umzugsunternehmen und nahm das sehr gute Angebot an. Am vereinbarten Tag packten die Jungs direkt tatkräftig an und verstauten alles fachgerecht im Umzugswagen. Ratzfatz war mein ganzes Leben im LKW verpackt und ich sah den Rücklichtern beim Start in Dietersheim nach.
Während meine Sachen auf der Autobahn in Richtung Schweiz zockelten, mutierte ich zum Putzteufel in meiner Wohnung. Es gab noch zwei wichtige Aufgaben: Wohnung zur Übergabe parat machen und den Müll auf dem Baustoffhof entsorgen. Seit Wochen wurden an diesem Tag bestimmte Baustoffhöfe für unverschiebbare Abgaben wieder einmal geöffnet. Ich war wirklich dankbar für diese Chance, denn sonst hätte ich alle Überbleibsel erst einmal im Keller belassen müssen und das war mir meinen Nachmietern gegenüber eher unangenehm. Wir tuckerten also rechtzeitig mit einem Bus voller Abgaben zum Baustoffhof und waren doch tatsächlich ein Auto von ganz vielen in dieser elendig langen Schlange.
Während ich der Wohnung den letzten Schliff gab, klingelte mein Handy. Das Umzugsunternehmen teilte mir mit, dass es Probleme am Schweizer Zoll gab. Zu ihrer Überraschung musste das Fahrzeug auf die Waage und natürlich wurde eine Überlast festgestellt. Umgehend mussten 220 kg abgeladen und selbstverständlich auch eine Strafe entrichtet werden. Am Zollhäuschen in Au, standen somit tatsächlich neben diversen Dingen, mein gutes altes DDR-Fahrrad, meine Waschmaschine und die Wohnzimmerpalme, unbewacht und unüberdacht am Straßenrand. Sichtbar für alle Einreisenden und mit einem Charme wie auf dem Trödelmarkt.
Andrej beschrieb recht schön, wie die Palmenblätter im Wind wehten. Der Beschreibung ging jedoch voraus, dass er in Höchstgeschwindigkeit all mein Geraffel aus dem Umzugsauto zerrte und unter dem Carport vor dem Haus abstellte. Es war eigentlich auch ein Desserli und Getränke für den Fahrer geplant, aber da ein nicht unerheblicher Teil (Matratze und Lattenroste, diverse Reisetaschen, usw.) noch am Zoll stand, drückte etwas der Zeitschuh und die Snackpause wurde kurzerhand gestrichen.
Letztendlich konnten wir am Abend durchatmen. Es war geschafft und entgegen all unserer Erwartungen, war mein Hausstand in der Schweiz. Nun fehlte noch ich selbst.
Wenn der Zollbeamte dich erwartet
Nach der reibungslosen Wohnungsübergabe und einem schweren Abschied in Dietersheim, startete ich am nächsten Tag. Ich war aufgeregt, immerhin waren die Grenzen offiziell geschlossen und ich ging damit auch einen gewaltigen Schritt.
In Österreich musste ich die Autobahn verlassen und auf einem Parkplatz Rede und Antwort stehen. Da ich in die Schweiz ausreisen wollte, musste ich schriftlich bestätigen, dass ich auf direktem Weg durch Österreich fahren werde. Keine Umwege, keine Pausen, kein Tanken oder ähnliches. Ich zeigte brav meinen Pass, unterschrieb die Papiere und überfuhr die erste Grenze. Nach dem Pfändertunnel peilte ich den Zollübergang in Au an. Dort erwartete mich bereits Andrej, da ich das Umzugsformular vom Vortag im Original benötigte. Als ich an den Schalter vortrat und die letzten Güter anmelden wollte, begrüßte mich der Zöllner mit einem Blick auf meine Umzugsliste und den Worten: „sie habe ich schon erwartet“. Damit war das Eis gebrochen und meine Nervosität verflogen. Es lief alles ganz reibungslos und ich durfte nach einigen Wochen endlich wieder nach Appenzell fahren.
Ostern – die ersten Tage in meiner Wahlheimat
Vor einigen Wochen, als die Grenzen geschlossen wurden und wir uns vorerst verabschieden mussten, hätten wir zunächst nicht gedacht, dass alles machbar ist. Nun bin ich in der Schweiz und wir haben bereits die ersten Tage – Ostern 2020 – gemeinsam verbracht.
Die Taschen sind ausgepackt, die Möbel aufgebaut und die Inhalte aller Kartons restlos verstaut. Nach meiner Operation durfte ich mittlerweile die ersten Rennradkilometer absolvieren und habe es in vollen Zügen genossen. Am Fuße des Alpsteins, zwischen grünen Wiesen voller Löwenzahn, bimmelnden Kuhglocken und wunderschönen Bergen, fühle ich mich bereits jetzt pudelwohl.
Trotz des Wohlfühlfaktors war und bin ich auch sehr traurig, denn der Abschied aus meinem bisherigen Leben fiel leider nahezu aus. Ich konnte meine Freunde nicht fest umarmen. Ich konnte meine Familie nicht noch einmal besuchen. Von meinen liebsten Kollegen habe ich mich per Videokonferenz oder Mail verabschieden müssen. Das alles ist nach all den Jahren nicht angemessen und schon gar nicht genug. Hinzu kommt die Ungewissheit zum aktuellen Zeitpunkt. Es macht die Sehnsucht sehr groß.
Ich bin jedoch mit einem festen Plan abgereist. Sobald die Grenzen wieder geöffnet sind, klemme ich mir ein großes Käsebrett unter den Arm und fahre noch einmal zurück. Dann hole ich den Abschied nach, drücken jeden ganz herzlich und genießen das Wiedersehen umso mehr.
Die ersten Tage in meiner neuen Wahlheimat waren aber auch Balsam für die Seele. Appenzell ist einfach wunderschön und ein kleines, von Bergen umgebenes Paradies mit vielen bunten Häusern im ganz eigenen Stil.
Hoi Appenzell, es ist mir eine Freude hier zu sein. Ich bin gespannt auf die Abenteuer, die Du für mich bereithältst.